Sonntag, 12. August 2007

Das Spiel mit der Figur Kempelen und dem Schachautomaten

Baron Wolfgang von Kempelen, tätig im Dienst Maria Theresias und Joseph II, baute 1769 einen Automaten, der angeblich das Schachspiel erlernt hatte. Eine Pfeife rauchende Puppe, verkleidet als Orientale, an einem Podest sitzend, führte die Spielzüge aus.
    Solche Maschinen waren zu dieser Zeit keine Seltenheit. Es bestand eine verbreitete Lust, Androiden bei menschlichen Tätigkeiten zu beobachten. Doch im Gegensatz zu anderen Automaten, wie beispielsweise die Maschinen der Familie Droz, die Klavier spielten oder zeichneten, schien der Türke von der Ratio des Menschen Besitz ergriffen zu haben und autonom, ohne menschliche Hilfe, das Spiel der Könige zu spielen. 
    Kempelen jedoch machte selbst nie einen großen Hehl daraus, dass es sich bei den spielerischen Erfolgen der Maschine um Täuschung handelte. Im Inneren des Podestes war Johann Allgaier, zu dieser Zeit einer der besten Schachspieler Wiens, versteckt. Er spielte das Spiel des Türken, eingezwängt in einen winzigen Raum; er steuerte dessen Arm und ließ ihn so seine Züge ausführen.

Kepelen baut den Schachautomaten 1 110 x 150 Öl und Tempera auf Leinwand
   
Bevor das Spiel begann, öffnete Kempelen die Türen und Schubladen des Automaten, um zu zeigen, dass sich niemand innerhalb der Maschine verbarg. Er tat dies in immer exakt der gleichen Reihenfolge, so dass sich der Spieler währenddessen anderenorts verstecken konnte. Um allfällige Geräusche zu vermeiden, baute Kempelen einen Hebel ein, mittels dessen Maschinentöne erzeugt werden konnten, die ein Räuspern oder ein Husten verdeckten. Während der Vorstellung blieb die größte Schublade, die zur Aufbewahrung der Schachfiguren diente, stets geöffnet. Dies gewährleistete genügend Sauerstoff, um im Inneren frei atmen zu können und eine Kerze brennen zu lassen.


Kepelen baut den Schachautomaten 2 110 x 150 Öl und Tempera auf Leinwand

    Das Spiel war gewöhnlich auf eine halbe Stunde beschränkt, konnte aber auf Wunsch des Gegners verlängert werden. Nach Beendigung der Partie durfte das Publikum ein beliebiges Feld auswählen, von dem aus der Türke mit dem Pferd jedes andere Feld besetzte. Diese so genannten Springercharaden waren im 18. Jahrhundert sehr beliebt. Zu der Problematik, jedes einzelne Feld nur einmal mit Rösselsprüngen zu besetzen und schlussendlich wieder am Ausgangspunkt zu stehen, wurde viel publiziert. Anschließend beantwortete der Türke anhand einer Tafel, auf die Buchstaben gemalt waren, Fragen aus dem Publikum. So wurde er zum Beispiel gefragt, ob er verheiratet sei; worauf er meinte, er habe viele Weiber. Wollte man allerdings Genaueres über den Mechanismus erfahren, so antwortete er, dies sei Teil des Geheimnisses.


Ich versuche, in meiner Arbeit Das Spiel mit der Figur Kempelen und dem Schachautomaten eine Wirklichkeit zu inszenieren. Ich führe ein Theaterstück um den Mythos des Schach spielenden Androiden auf, ich hebe die Handlung aus ihrem historischen Zusammenhang.
    Ich castete verschiedene Schauspieler für die Rollen des Kempelen, Allgaier und der Puppe. Die Protagonisten sind also nicht ihren Vorbildern nachgestellt, sie sind vielmehr deren moderne Version. Sie sind in ihrer Existenz Produkt einer doppelten Spiegelung: die historischen Figuren wandeln sich in reale Zeitgenossen, diese wiederum werden im Bild zu eigenständigen Individuen. Schauplatz ist die Werkstatt Kempelens, ein von Scheinwerfern beleuchteter Bühnenraum, dessen Inventar ausschließlich aus Gegenständen besteht, die für die Erzählung relevant sind.


Kepelen erklärt Allgaier den Schachautomaten 150 x 150 Öl und Tempera auf Leinwand

    Wir beobachten Kempelen beim Bau seines Pseudoautomaten, Allgaier beim Schachtraining und die beiden miteinander im Gespräch. Meine Vorstellung geht davon aus, dass Kempelen den Schachmeister in die Entwicklung des Androiden mit einbezogen, wenn nicht sogar mit ihm zusammengearbeitet hat. Die Maße des Türken richten sich nach der Größe Allgaiers, der ganze Mechanismus ist so konstruiert, dass er sich so problemlos wie möglich den Bewegungen des Spielers fügt. Kempelen baut nicht einfach eine Schach spielende Puppe, er konstruiert die androide Entsprechung Allgaiers. Die Puppe ist Allgaiers Kostüm, das ihn zum Verschwinden bringt. Übrig bleibt von Allgaier dessen Software, nämlich seine Fähigkeit, Schach zu spielen; aber genau das interessiert Kempelen am wenigsten.
    Das Faszinierende am Schachautomaten ist die Verstrickung von verschiedenen Illusionen: Allgaier tut, als ob er eine Puppe wäre; die Puppe tut, als ob sie Schach spielen könnte; Kempelen schließlich tut, als wäre er ein Gott ähnlicher Schöpfer.


Meine inszenierte Wirklichkeit, beruft sich auf eine literarische Wirklichkeit, die derselben zu Grunde liegende reale Wirklichkeit ist längst vergangen. Der Schachautomat – die reine Maschine ohne Allgaier – das Relikt der ursprünglichen Erzählung – wurde übrigens durch einen Brand zerstört.